Die Ausstellung gibt einen Einblick in das bildnerische Schaffen von Dieter Jung.
Bereits in den Spiegelbildern der sechziger Jahre zeigen sich die Konstanten, die Jung in seinem Werk verfolgt: die Auseinandersetzung mit Farbe und Licht, Raum und Bewegung und im Besonderen die visuelle Wahrnehmung und praktische Erkundung neu entwickelter MedienTechnologien.
Parallel zu gemalten, großformatigen Portraits (1970er Jahre) von unbekannten und bekannten Personen wie Nietzsche, Freud oder Giacometti, die aus sich horizontal und vertikal durchdringenden Schwingungsstrukturen entstanden, entwickelte Jung 1977 die ersten Gedichthologramme, die von H.M.Enzensberger speziell für seine holographischen Arbeiten verfasst wurden und nun als Lichtgebilde in der Luft schwebten.
Die Hologramme verlieren im weiteren Verlauf der Werkentwicklung ihren gegenständlichen Bezug und beschränken sich hauptsächlich auf Farbfelder und Raumflächen, die als abstrakte, dreidimensionale Lichtskulpturen zu verstehen sind. Seit Anfang der achtziger Jahre verwandelt Jung diese medialen Erfahrungen auch in Malerei und Installationen.
Zur Ausstellungseröffnung am 9.9.2016 um 19 h laden wir Sie herzlich in die
cubus kunsthalle, duisburg ein.
Begrüßung Dr. Claudia Schaefer, Leiterin der cubus kunsthalle, duisburg
Grußworte der Stadt Duisburg Volker Mosblech, Bürgermeister der Stadt Duisburg
Einführung Kay Heymer, Stiftung Museum Kunstpalast, Düsseldorf
Dieter Jung – Eine Ästhetik des Staunens
Struktur ist Illusion. Diese Tatsache ist das größte Wunder dieses Jahrhunderts.
Richard Lippoldi
Als der Künstler Richard Lippold mit dieser Beobachtung auf die paradoxe Mischung von Rationalem und Irrationalem hinwies, die in jedem Kunstwerk wirkt, war Dieter Jung 26 Jahre alt und entwickelte die entscheidenden Parameter seiner eigenen Arbeit. Er studierte noch bei dem informellen Maler Hann Trier in Berlin, und während eines Stipendiumsaufenthalts in Paris begegnete er dem Bildhauer Alberto Giacometti, einem Künstler, der bis zur Verzweiflung besessen war von dem Bestreben, angemessen wiederzugeben, was er sah. Trier und Giacometti markieren beide in ihrer jeweiligen Verschiedenheit eine künstlerische Haltung, die den persönlichen Ausdruck ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt, und sie stehen beispielhaft für moderne Positionen, die Dieter Jung in seinem Werk überwinden würde. Jung begann als Maler informeller Bilder und setzte sich mit der Thematik des persönlichen Ausdrucks intensiv auseinander. Anfang der 1970er-Jahre schuf er eine Serie großformatiger Porträts, die von gemalten Schlieren überdeckt sind und die den Dichter Hans Magnus Enzensberger dazu veranlassten, vom Verschwinden zu schreiben – vom Verschwinden der Porträtierten, aber schließlich auch vom Verschwinden des Malers: „Sein Verschwinden ist das unauffälligste. Er verschwindet in den Maschen, den Schlieren, den immer weiter zurückweichenden Farben seiner Bilder. Am Ende – das, wie gesagt, nicht abzusehen ist – wird niemand mehr da sein.“ii Enzensbergers zutreffende Feststellung vom Verschwinden des Autors dieser Bilderserie markiert einen wesentlichen Schritt in Dieter Jungs künstlerischer Entwicklung. Er tilgte alle Spuren persönlichen Ausdrucks, alle handschriftlichen Merkmale seiner Malerei und konzentrierte sich auf die Schaffung von Werken, deren Formensprache eine gleichsam anonyme, objektive Qualität gewann, die Jungs Werk näher an die ästhetische Konzeption des Konstruktivismus rückte. Jung konzentrierte sich in seiner Arbeit seit Mitte der 1970er-Jahre auf die Hervorbringung und Analyse der Wahrnehmungsphänomene von Licht, Farbe, Raum und Bewegung. Er begann, unterschiedliche Medien einzusetzen. Was das medial außerordentlich vielfältige Werk von Dieter Jung bis heute zusammenhält, ist diese Konzentration auf wenige grundlegende ästhetische Erscheinungen, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wesentliche Triebkräfte avantgardistischer Kunst waren. So ist etwa das ästhetische Credo von Laszló Moholy-Nagy eine für Jung durchaus gültige Basis: „Man kann Kunst nicht durch Beschreibungen erfahren. Erklärungen und Analysen können bestenfalls als intellektuelle Vorbereitung dienen. Sie können einen jedoch ermutigen, in direkten Kontakt mit Kunstwerken zu treten. (…) Das Werk der Erneuerung ist eine Neubewertung der Farbe, ihrer optischen Energie, visuellen Illusionen und Nachbilder, die das Mittel einer neuen Wiedergabe der kinetischen Raum-Zeit darstellen.“iii Dieter Jungs Werke, seine Gemälde und Zeichnungen, seine Hologramme, Lenticular- und Computergrafiken sowie die Installationen dienen genau diesem Zweck. Jungs Werke zeigen Licht- Raum- und Bewegungsphänomene, die dem Betrachter als rational beschreibbare Konstruktionen oder Versuchsanordnungen immaterielle und rational nicht mehr fassbare Erscheinungen vor Augen stellen. Damit setzt Jung die Tradition von Künstlern wie Moholy-Nagy mit den Mitteln seiner Zeit fort. Die überpersönliche, anonyme Ausstrahlung seiner Werke ist frei von romantischen oder quasireligiösen Gehalten. Das macht sie besonders zugänglich und lässt sie für viele Betrachter unterschiedlichster kultureller Prägung aktuell wirken. Dieter Jung hat mit seinen Hologrammen und Lenticular-Grafiken stets neue Technologien eingesetzt, diese Technologien werden in seinen Arbeiten jedoch nicht einfach affirmativ gesetzt, sondern an ihre Grenzen geführt. Die Kunst von Dieter Jung fußt auf rationalen, wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnissen und stellt sie gleichzeitig in Frage oder überbietet sie.
Dieter Jungs Kunst folgt einer Ästhetik des Staunens, wie sie der Literaturwissenschaftler und Philosoph Philip Fisher definiert hat. Fisher setzt seine Ästhetik des Wunders bzw. des Staunens von einer Ästhetik des Erhabenen („the Sublime“) ab, die mit den Mitteln der Dunkelheit, Einschüchterung und Angst operiert: „Das Wunder, die in der Moderne am stärksten vernachlässigte Kategorie primärer ästhetischer Erfahrungen, bezieht sich auf die Ästhetisierung der Freude, des Lustprinzips und nicht des Todesprinzips, dessen Akteur innerhalb der ästhetischen Erfahrung das Erhabene ist.“iv Fisher bezieht seine Ästhetik des Wunders ausdrücklich auf das Konzept des Neuen in der Malerei von Monet bis Pollock und darüber hinaus: „Doch vor allem wird durch das Wunder die Freude angesprochen, der kühne, jugendliche Pinselstrich, das Vergnügen am Unerwarteten und an der Erweiterung der Mittel über jene Grenzen hinaus, wo man ihr Ende vermutet hätte.“v Genau diesen Punkt treffen Jungs Hologramme und Installationen. Sie bieten dem aufmerksamen Betrachter dynamisch bewegte Farberscheinungen an, die gleichzeitig Freude bereiten und zum Staunen bringen. Dabei respektieren sie den Betrachter in seiner eigenen Freiheit und versuchen nicht, ihn zu überwältigen oder zu gleichsam religiöser Verehrung zu veranlassen. Die Gegenwart der Kunst von Dieter Jung stimuliert unsere Neugier und feiert das Leben.
Kay Heymer
i Richard Lippold: „Illusion als Struktur“, in: Gyorgy Kepes, Hg.: Struktur in Kunst und Wissenschaft. Brüssel: La Connaissance, 1967 (sehen + werten), S. 153-164, Zitat S. 153.
ii Hans Magnus Enzensberger: „Das langsame Verschwinden der Personen“ (1973), zit. nach: Marlene Lauter, Hg.: Dieter Jung. Anders als man denkt. Museum im Kulturspeicher, Würzburg, u. a. O., 2003, S. 12-13, Zitat S. 13.
iii Laszló Moholy-Nagy: The new vision and abstract of an artist. New York: Wittenborn & Co., 1946, S. 12, 38. (Übers. om Verfasser).
iv Philip Fisher: Wonder, the Rainbow, and the Aesthetics of Rare Experiences. Cambridge, Mass. / London: Harvard University Press, 1998, S. 2 (Übers. vom Verfasser).
v Ebd., S. 5f.
Dieter Jung
Biographische Daten
1941 in Bad Wildungen geboren
1962 Abitur am Städtischen Gymnasium Siegen (Nordrhein-Westfalen)
1962 Studium der Theologie an der Kirchliche Hochschule in Berlin
1962-67 Studium der Malerei an der Hochschule für bildende Künste Berlin
1965/66 Einschreibung an der École Nationale Supérieure Des Beaux Arts in Paris
Begegnungen mit Arthur Adamov und Alberto Giacometti
1967 Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Meisterschüler bei Hann Trier
1968/69 USA-Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD)
1971 Studium an der Deutschen Film-und Fernsehakademie Berlin
1973 Realisation von Musik-Dokumentar-Trickfilmen in Brasilien
Erste Portraits von bekannten und unbekannten Personen entstehen als Wellenstruktur-Bilder
1975 Gastprofessor an der Architektur Fakultät der Universidade Federal da Bahia/ Salvador verbunden mit
Einzelausstellungen im Museu de Arte de São Paulo und im Museu de Arte Moderna de Rio de Janeiro
1977 Resident Artist in The MacDowell Colony, Petersborough/ N.H.
Studium an der New York School of Holography und Umsetzung der ersten Gedicht-Hologramme,
verfasst von H.M.Enzensberger
1978 Artist-in-Residence, Yaddo Foundation, Saratoga Springs, NewYork
1983 Einzelausstellungen im Hara Museum of Contemporary Art in Tokyo und im Hong Kong Arts Center
1984 Arbeits-Stipendium der Stiftung Kunstfonds, Bonn. Verwirklichung der holographischen und
malerischen Zyklen Into the Rainbow, Illuminationen, Sonnenwinde und Gegenwartsräume
1985 Teilnahme am East-West Visual Arts Encounter in Bombay und erste Ausstellungsmöglichkeit in Peking
1985-89 Fellow am Center for Advanced Visual Studies (CAVS) am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge/MA. Entwicklung computer generierter Bewegungs-Hologramme, u.a. Lichtmühle und Palindrom
1988 u. 2003 Holographie-Preis der Shearwater Foundation, New York
1990-2007 Professor für künstlerische Holographie und Lichtmedien an der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM)
1990 Mitglied im Gründungsausschuss der Kunsthochschule für Medien Köln sowie Kuratoriumsmitglied für das Zentrum Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe.
1996 Leitung der internationalen Konferenz und Ausstellung Holographic Network: Sehreisen zwischen
Kunst, Wissenschaft und Technik, Akademie der Künste Berlin
1998 Entwicklung holokinetischer Mobiles
2004 Teilnahme an der European Conference on Visual Perception, Budapest und Optics, Life and Heritage in Havanna.
2006 Beginn der PartikelWellen-Bilder und Umsetzung holographischer Zeitkapseln
2010 Mitglied des Academic Board of Advisors der Zero Stiftung in Düsseldorf
2011-13 Beteiligung an der 54. Biennale von Venedig; der Siart Biennale in La Paz, Bolivien; The100th Anniversary of John Cagein Beijing und The Jeweled Net im MIT Museum in Cambridge/ MA. Den Soloausstellungen Into Light in der Art Chapel Turku /Finnland und Flying Colours, Galléria A22, Budapest folgen ab 2013 Ausstellungsbeteiligungen: Interspaces, Vasarely Museum, Budapest; Mouvement et lumières, Centre d`art contemporain Frank Popper, Marcigny und Holographie aus der Sammlung des ZKM, ZKM Medienmuseum, Karlsruhe.
2014 Scheinwerfer, Kunstmuseum Celle; Trace(s) – Mirages, La Chartreuse de Valbonne, St-Poulet de Caisson;
Interact: Deconstructing Spectatorship, Eastwing Biennial, The Courtauld Institute of Art, London
2015 Otto Piene – Rainbow, Museum of Contemporary Art, Tehran, Iran; Globale, Bodenlos -Vilém Flusser und die Künste im ZKM Karlsruhe und der Akademie der Künste Berlin; Light Symposium, Kunsthalle Budapest; Ages of Light im Kepes Institut,Eger und Magic of Light im Museum of Optics, St. Petersburg.
Dieter Jung lebt und arbeitet in Berlin. Seine Arbeiten wurden weltweit in über 40 Ländern gezeigt
Im Vorfeld der Austellungseröffnung findet eine Ärztefortbildung statt: