RABE Reiner Bergmann
Malerei
28.03. – 11.05.2003
Zur Ausstellungseröffnung
am 28.3.2003 um 19.30 Uhr
laden wir Sie und Ihre Freunde herzlich ein.
Der Künstler ist anwesend.
Begrüßung:
Dr. Claudia Schaefer, cubus kunsthalle, duisburg
Es spricht:
Dr. Susanne Höper-Kuhn, Kunsthistorikerin
Musik:
Eckard Koltermann, Saxophon/Baßklarinette
Jeweils samstags von 14-18°° workshop Malerei für Kinder nach Voranmeldung
Zu den Arbeiten
Rainer Bergmanns Malerei zeigt die erregte Oberfläche des bewegten Untergrunds, in dem die Handlung spielt, und zwar nicht zur Illustration, sondern als Konkretion eines Geschehens. Realistisch verstandene Alltagsszenen gesetzt in drängende Bilderserien formulieren eine prägnante, offene Formensprache, die Leichtigkeit vermittelt, trotz der in ihr mühevoll verdichteten biographischen Gedächtnisarbeit. Ihre rauhe Ästhetik prononciert die gewaltige Bedeutung des Privaten und saugt die fassbare Emotion des Betrachters buchstäblich auf, so, als antizipiere sie dessen unsägliche Geschichte, als wäre sie vorab bereits geprägt von der provozierenden Authentizität selbstreflektiver und selbstbewusster Aneignung durch Publikum.
Robert Bosshard
Biografie
Rainer Bergmann R A B E ist 1943 geboren in Tiengen/Oberrhein. Nach der Ausbildung als Steinbildhauer schloss sich 1964 – 1967 ein Studium an der Kunstakademie Stuttgart bei Prof. Hoflehner an. In dieser Zeit entstehen Holz-, Stahl- und Gipsplastiken. Ein Stipendium der Studienstiftung ermöglicht einen Studienaufenthalt in Italien und ein Weiterstudium in Düsseldorf. 1968 Umzug nach Duisburg. Es entstehen narrative Objekte und Zeichnungen. 1980 wendet er sich der Malerei zu. Mitbegründer der Künstlergruppe „Streichquartett“. Rainer Bergmann lebt und arbeitet als freier Künstler in Duisburg.
Einzel- und Gruppenausstellungen finden im In- und Ausland statt. Arbeiten von Rainer Bergmann sind im öffentlichen und privaten Besitz.
Wir danken der Unterstützung durch den Kulturbeirat der Stadt Duisburg und der König Brauerei
Einführung in die Ausstellung Rainer Bergmann RABE.
Dr. Susanne Höper-Kuhn
„Der Künstler ist ja nach der bürgerlichen Auffassung jemand, der stellvertretend für andere Sachen artikuliert, aber nicht nur für andere, sondern auch für sich selber, ohne daß er jetzt auf irgendwelche Egotrips abfährt. Und darum geht’s doch: je intensiver meine Konzentration ist bei der Arbeit, desto mehr kommt auf dem Bild für den Betrachter rüber.“ So Jörg Immendorff in einem Interview mit Volker Grasskamp, 1984.
Eben diese von Immendorff bezeichnete Konzentration finden wir in der Malerei von Rainer Bergmann. Der Künstler hat in dieser Ausstellung rund 50 Arbeiten für uns zusammengestellt, die einen Überblick über seine narrative und phantasievolle Suche nach einem Abbild von Wirklichkeit in den letzten zwanzig Jahre geben.
Das Portrait, die Landschaft, das Stilleben mögen wir in der Malerei Bergmanns entdecken. Wo ist die Antipode? Die ganze bunte Werbewelt da draußen ist voll davon und prägt mit Macht und psychologisch fundiert die Art, wie wir die Welt aufnehmen. Das erzählerische Historienbild oder Genrebild, in dem die Künstler früher den Lauf der Geschichte oder die Atmosphäre einer Gesellschaft (zuweilen auch im Dienste einer Ideologie) verdichteten, ist zur Domäne des Kino- oder Fernsehfilms geworden. Die Verunsicherung darüber, was ein einzelnes gemaltes Bild in der Flut der millionenfach reproduzierten Bilder noch bewirken kann und bedeuten kann, hat sich tief in das Künstlerbewußtsein gegraben.
Wie also dagegen an? Diese Malerei hier ist eine wilde, subjektive Malerei. In ihr drückt sich das Bedürfnis des Künstlers nach spontanem Ausdruck in zum Teil rätselhaften, seltsam ungestümen Bildern aus. Reizvokabeln wie Farbigkeit, Hitze, gestalteter Ausdruck, Spontanietät, Lockerheit, Unruhe, Emotion, Erlebnis, Geschichte, Reise, Gesamtkunstwerk, Synthese, Kommunikation fallen dem Betrachter vor seinen großformatigen Werken regelrecht zu.
Nein, Rainer Bergmann hat nicht immer gemalt und dabei allmählich einen Stil, eine Handschrift, entwickelt. Vielmehr begann der gebürtige Oberrheiner, der an der Kunstakademie in Stuttgart und Düsseldorf zunächst Bildhauerei studiert hat, anfang der achtziger Jahre ganz spontan mit der Malerei.
Motive findet er auf der Straße, in Zeitungen und Zeitschriften, in der Werbewelt. An seinen auch von Fotos und Studienreisen nach Mexiko etwa oder nach Italien inspirierten Bildern, die man als „Untersuchungen“ bezeichnen könnte, interessiert ihn das Stilistische zuletzt. Natürlich ist das Ergebnis seiner „Untersuchungen“ ein auch sozialkritisches, denn Bergmann ist ein politischer Mensch, der sich einmischt und ein sensibles Auge und Gehör für die Zwischentöne hat. Die Wirkung seiner „Untersuchunen“ ist eindringlich, was nicht zuletzt an der Motivwahl, sondern auch an der Maltechnik liegt. Wir finden ein pointiert malerisches Wesen durchgängig in seinen Arbeiten. Sie sind gekennzeichnet von einem expressiven, gestenreichen Pinselstrich, der keinen Stillstand erlebt. Bei dem Begriff „expressiv“ denken wir gerne an das Pathos der Kirchner-, Nolde-, Heckel-Generation. Nein, Bergmanns Weise ist anders expressiv. Sie ist viel radikaler und drastischer, wenn er mit dem Pinsel um sich schlägt und dabei weniger an ein Kunstproduzieren denkt als vielmehr einen freien gestalterischen Akt der Selbstbefreiung von Gefühlen, Träumen, Aggressionen vollzieht.
Entsprechend nebensächlich wird für ihn das bloße Handwerk. Grundierung des Malgrundes – kann, aber muß nicht sein. Keilrahmen zur Stabilisierung der Bildfläche – nein danke. Auch kann – wie hier in dieser Ausstellung geschehen – eine großformatige Papierarbeit einfach mit Stecknadeln auf die nackte Wand geheftet sein.
Seine Bilder scheinen alle Spielarten gängiger Malerei aufzuweisen. Das Problem abstrakt oder figürlich ist für Bergman längst keine Frage mehr. Und – er hat die Kunstgeschichte im Kopf und zitiert sie. Eine Erinnerung an die Rituale von einst. Kunstgeschichte zitiert er aus einem momentanen Bedürfnis heraus. Er benutzt sie wie eine vorgefundene Sprache.
So zum Beispiel bei den „Palermo“-Bildern von 1994/1995, die nach einer Studienreise nach Italien entstanden. Hier ging es ihm auch um die Herausforderung ein in der Kunstgeschichte häufig anzutreffendesThema, das des Platzes, besser der italienischen „Piazza“, zu bewältigen. Angeregt von der „metaphysischen Malerei“, insbesondere von de Chiricos Serie „Italienische Plätze“, finden wir scharfe Schlagschatten, verschiedene Lichtquellen, an verschiedenen Fluchtpunkten ausgerichtete Arkaden und kippende Böden in Verbindung mit Gebäudefragmenten, die ihren scheinbar „traumhaften“ Charakter der ängstlichen Leere, der Bedrücktheit und Verlassenheit konstruieren.
Sein Interesse ist dabei hochbeweglich, geradezu volatil, stark imaginativ. Er schlüpft in historisch weit auseinanderliegende Rollen, etwa wie ein Schreiber, der sich von der Dikatatur des Dudens angewidert, mal an der Orthographie alter Urkunden und mal am Primitiv-Idiom von Comic strips orientiert.
Dabei ist seine Malerei von großer Aufrichtigkeit. Unaufgefordert riskiert er auf seinen Bildern einen Wirbelsturm des Privaten, den Sprung nach innen, eine neue Subjektivität und zeigt ein hohes Maß an Offenheit. Dabei schließt das Angebot immer auch bildnerische Mitteilungen aus dem Intimbereich ein. Nicht, um zu provozieren – in dieser Hinsicht ist der Maler (doppelt abgehärtet durch Kinsey und Kolle) ganz unverkrampft und ganz cool. Selbstauskünfte, die für manchen Betrachter dennoch die Grenze des Erträglichen überschreiten mögen, liegen nicht in der Verantwortung des Malers, sondern in der prinzipiell ähnlichen Struktur der subjektiven Erfahrungswelt des Menschen, sei es der Maler oder der Betrachter, begründet. Für ihn sind diese Selbstauskünfte unverzichtbarer Ausdruck künstlerischer Freiheit. Neben der selbstbewußten Aktdarstellung finden wir so Bilder aus dem Alltag der wirklichen Beziehungen: Mann-Frau: Rollenübernahme, Geschlechterkampf; Mutter – Kind: Generationenkonflikt.
Von den überkommenen Bildgattungen der abendländischen Malerei – Portrait, Gruppenbild, Stilleben, Landschaft – als solchen, den Künstler in den Zaum nehmenden Struktureinheiten will er eigentlich nicht einschränken lassen. Vielmehr lauscht er seinen Gefühle, bringt seine Träume oder Erinnerungen ins Bild und erzählt Geschichten. Manche seiner Großformate wirken wie gewaltige Skizzen oder auf eine sprudelnde Farbquelle aufgesetzte Karikaturen.
Bergmann liebt sprechende Titel, die verraten, was seine Phantasie beschäftigt. Menschen in verwirrenden Handlungen gibt es immer wieder auf den Großformaten, bei denen keine räumliche Perspektive zu Hilfe eilt. Das Bild wird so zu einer nicht näher definierten Ereignisfläche, auf der sich etwas wie im Traum abspielt. Und die Botschaften dieser Bilder? Mit der Botschaft verhält es sich wie bei Mitteilungen von einem anderen Stern, sie bleibt verhüllt, verschlossen.
Und die Hülle? Viele seiner „Projekte“, bei denen er an mehreren Arbeiten zu einem Arbeitstitel gleichzeitig agiert, sind inspiriert von der Bildwelt der Industrie- und Kulturlandschaft Ruhrgebiet wie z.B. die „Stadtbilder“. Wiedererkennbares lockt uns an. Bergmann genügt es, daß jeder denkt, das ist eine Stadtlandschaft, eine historische Referenz braucht er nicht. Er arbeitet mit Klischees, also Verkürzungen, Abziehbildern einer komplexen Realität, Hilfsmitteln des ordnenden Menschen also, mit denen wir stets schon versuchen, die Welt begreifbar, beschreibbar und wegsam zu machen. Ganz im Sinne des Soziologen und Philosophen Arnold Gehlen, der, indem er den Menschen als „unspezialisiertes“, „nicht festgelegtes“, „weltoffenes“ Wesen erkennt, ihn auf diese Hilfsmittel zur Schaffung einer Ordnung in der Welt um ihn herum angewiesen sieht.
So schafft Rainer Bergmann mit seinen Bildzyklen virtuelle Welten, die dem Betrachter glauben machen, das er das, was er dort vor sich habe, kenne. Es verhält sich so wie mit den Romanen eines Karl May, der derart konkret Handlungsschauplätze zu schildern vermag, daß ein Leser ihm bereitwillig glaubt, er – May – sei dort gewesen und nun sei er – der Leser – dank der nachschaffenden Imagination selbst im Moment des Lesens eben dort. Bergmann ist ein ebensolcher Meister der Schaffung einer bestimmten Atmospäre und Virtualität. Er stellt einen Bezug des Bildgeschehens zu einer realen Situation her, die er durch prägnante Bildelemente wie etwa die „Vespa“ in dem Projekt „Palermo“, aber auch die gesetzten Titel präzisiert. Damit erklärt er das malerische Geschehen zwar nicht, gibt ihm aber einen räumlich geographischen oder historisch geistigen Ort. Er stellt es in einen Kontext, der auf seinen eigenen Erlebnisbereich verweist und die visuelle Erfahrung des Betrachters auf reales Geschehen lenkt. So zieht er den Betrachter in das Bild hinein und damit durch die Oberfläche hindurch in andere, mehr innere Schichten des Bildes.
Die zumeist großformatigen Werke von Rainer Bergmann kommen so auch nicht mit kostbaren Holzrahmen daher. Nein, er setzt seine Bilder in selbstgefertigte Schaukästen aus im Baumarkt gekauften Aluminiumprofilen, die im Bau zur Befestigung von Rigipsplatten dienen. Da sehen wir nun die welligen Papierarbeiten in ihrer von feuchter Farbe durchtränkten Materialität wie sie von der Atelierwand des Künstlers kommen – einfach aufgesteckt mit Stecknadeln wie Schmetterlinge in einem naturkundlichen Schaukasten.
Apropos Schaukasten. Das Bild trägt auch noch weiter, ganz im Sinne der zuvor bezeichneten „Alltagsdurstigkeit“ seiner farbgesättigten Bilder: das Vergangene und das Gegenwärtige gerinnt zu einer Szene in einem Schaukasten-Theater des Alltags, mit der wir als Betrachter lebensgroß in einem Bildgegenüber konfrontiert sind.
Bergmann mag nicht auf Leinwand malen, die gibt ihm einfach zu sehr nach. Er benötigt den Widerstand des „Gegenübers“ der Malfläche, die er zuweilen mit Pinsel oder Ölkreide regelrecht traktiert. Die Malaktionen sind durchaus zu sehen. Die Fläche erweist sich nicht selten als ein Schlachtfeld heftiger Aktionen, bei der es häufig zu Übermalungen kommt.
Nachdem der Betrachter von dem „süßen Honig“ des für ihn Erkennbaren angelockt ist, folgt der zweite Blick auf das Bild. Für Rainer Bergmann ist die Welt der Dinge kein Universum von Formen, die erscheinen, sondern von Bedeutungen, die sich offenbaren. Er versucht die Rätsel und Nicht-Sinnhaftigkeiten erfahrbar werden zu lassen, welche sich hinter dem Schleier des Sichtbaren verbergen. Alle Gegenstände werden zu Zeichen eines visuellen Vokabulars; befreit von ihrer konventionellen Bedeutung und a-logisch kombiniert. Da fragt sich der Betrachter dann, was das Collosseum, das in Rom zu stehen hat, in Palermo zu suchen hat? So vermögen sie poetische Momente zu evozieren und sprachlich nicht faßbare Intuitionen zu artikulieren. Das Denken wird direkt in eine bildliche Sprache transformiert.
Der Frankfurter Maler Thomas Bayerle sagte einmal: „Kunst existenziell ausüben heißt, den „automatischen Körper“ bejahen, mehr schwitzen – weniger „Hirnfick!“ – den body in die Mitte schieben, ihn nicht nur als Trägerrakete sehen für „schöne Ideen“. Dieses Schwitzen wünsche ich ihnen nun, wenn sie durch die Ausstellung rennen. Wenn sie rote Punkte an der Titeleien sehen, ist diese Arbeit leider schon verkauft. Und übrigens, lieber Herr: Ein „Junger Wilder“ kennt kein Alter. Danke für diese Ausstellung.
Dr. Susanne Höper-Kuhn, Kunsthistorikerin
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